a) Unter Verschriftlichung
versteht man den Gebrauch von geschriebenen Symbolen als
Träger von Information, wie sie bei Einführung der Schrift und ihrer
Verbreitung zum Träger der Kultur wurden,
wobei wir zur Kultur alle Informationen
als Mitteilungen zwischen Menschen zählen, auch solche, die auf ein bestimmtes
Verhalten der beteiligten Menschen gerichtet sind, um hierdurch gesellschaftliche
Einrichtungen, also Virtuelles
zu bewirken. Mit Verschriftlichung der Welt bezeichnen wir dabei den Vorgang,
dass die Erfassung und Verbreitung der Information, die für das Bewirktwerden
aller kulturellen und gesellschaftlichen Erscheinungen maßgeblich ist,
grundsätzlich -mit Ausnahme der durch unmittelbare Kommunikation konstituierten
Kleingruppierungen- schriftlich erfolgt.
Jede kulturelle oder gesellschaftliche Erscheinung kann nur dadurch entstehen,
dass sie durch das Verhalten der an ihr Beteiligten gemäß einer ihnen
vorliegenden Information durch ein abgestimmtes Zusammenwirken bewirkt wird.
Durch die Verwendung der Schrift konnte die hierbei erforderliche Information
sowohl zeit- als auch raumübergreifend weitergegeben werden, wodurch völlig
neue virtuelle Gestaltungen, auch unter nicht persönlich verbundenen und
anonymen Beteiligten bewirkt werden konnten. Während zuvor nur solche
virtuellen kulturellen und gesellschaftlichen Einrichtungen bewirkt werden
konnten, für deren Informationsbedarf ein mündlicher Austausch ausreichte,
erlaubte die Verschriftlichung weitaus größere und umfassendere Gestaltungen
bis hin zu den ersten politischen Großreichen. Die Schrift selbst wird auf
ägyptische Hieroglyphen und mesopotamische Keilschrift, beides aus dem vierten
vorchristlichen Jahrtausend, zurückgeführt, eine wahrhaft kulturelle Bedeutung
erlangte sie jedoch erst mit dem Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends,
vor allem nach ihrer Alphabetisierung und Phonetisierung, wodurch den alphabetisierten
Symbolen eine phonetisch sprachliche Bedeutung beigelegt wurde. Ebenfalls
wurden zu dieser Zeit erst geeignete Symbolträger, wie die Papyri, gefunden.
Erst damit konnte sich die Schrift zu einem Kulturträger entwickeln, der die
etwa rhetorisch oder episch formalisierten mündlichen Informationsträger ablöste.
b)
Nunmehr begannen die schriftlichen Aufzeichnungen der mündlichen
Überlieferungen, wie sie uns etwa von den aus dem 8. bis 6. vorchristlichen
Jahrhundert stammenden Werken Homers, Hesiods und dem Alten Testament der Bibel
bekannt sind; auch die überkommenen schriftlichen Nachweise des offenbar
weitaus älteren Gilgamesch Epos stammen aus dieser Zeit. Hiermit wurde eine
tiefgreifende Kulturwende eingeleitet. Zuvor galt die allein durch mündliche Information getragene matriarchale
Kultur. Sie ist für einen Zeitraum von knapp 40.000 Jahren nachweisbar, wie wir
von aus dieser Zeit recht kontinuierlich vorhandenen archäologischen Funden in
Form von die weiblichen Sexualmerkmale wie Brüste, Hüften und den Schambereich
überbetonenden kleinen Statuetten sowie durch viele aufgezeichnete Mythen aus
der vorschriftlichen Zeit wissen. Die Menschen bestimmten ihre
Zusammengehörigkeit nach den Geburten durch die Mütter, in deren Schoß sie die
Einbindung in den ewigen Kreislauf des Lebens zu erkennen glaubten. So wie sie
den Kreislauf der Natur mit Frühling und Erblühen, Sommer und Reifen, Herbst
und Vergehen sowie Winter und Tod erlebten, fanden sie ihn bei den Göttinnen
bestätigt, die im Frühling ihren Gottsohn gebaren, ihn im Sommer oft als Gatten
liebten, um ihn in der Reife des Herbstes wieder zu verlieren und ihren Tod im
Winter zu betrauern, bevor alles wieder mit der Schwangerschaft und der Geburt
im Frühling von neuem begann. Nachdem die Menschen die Bedeutung der Sexualität
erkannt hatten, deuteten sie den Geschlechtsakt als Öffnung des weiblichen
Schoßes, damit die wiederzugebärenden Seelen dort einkehren konnten. Auch der
Schoß der Göttinnen wurde nunmehr von ihren Sohngeliebten geöffnet. Die
Menschen erfuhren selber auch in der geschlechtlichen Vereinigung und dem dabei
empfundenen orgiastischen
Rausch ihre Teilhabe am göttlichen
Lebenskreislauf, ein Erlebnis das auch Gegenstand ritueller Verehrung wurde.
Die biologische kausale Vaterschaft
indessen entdeckten die Männer erst mit Hilfe der Vermehrung ihrer
Erkenntnisse, die ihnen die Verschriftlichung brachte. c) Mit ihr waren nicht nur eine gewaltige
Erweiterung der Informationsbasis und deren Intensivierung verbunden, was
unmittelbar die virtuellen Gestaltungen betraf, sondern sie verselbständigte
zugleich die Abstraktion.
Die Abstraktion ist in jedem Einzelnen als Fähigkeit zur Verallgemeinerung
einer konkreten Wahrnehmung angelegt, indem das Bewusstsein
wie im System sich endlos spiegelnder gegenüberstehender Spiegel ein Wahrgenommenes,
wie es wiederum selbst wahrgenommen wird, spiegelt und dabei von Stufe zu Stufe
immer höher gelangt. Aufgrund der zur sich selbst wahrnehmenden Wahrnehmung
hinzutretenden Beurteilungsfähigkeit kann der Gegenstand der Spiegelung von
Stufe zu Stufe aufsteigend durch Weglassen von Eigenschaften und absteigend
durch deren Hinzufügen gewandelt werden. Die Abstraktion ermöglicht dabei
aufsteigend eine einzelne Wahrnehmung soweit zu verallgemeinern, dass sie mit
einer entsprechenden Wahrnehmung eines anderen Menschen vergleichbar wird.
Mithilfe von Symbolen können diese sich dann hierüber austauschen, indem die
Bindungskraft der Kommunikation
die hierzu notwendigen Bahnen schafft. Ob die zwischen den durch die
Kommunikation verbundenen Einzelnen ausgetauschte Information genügte, mithin
ein jeder der Beteiligten seine inneren Wahrnehmungen ausreichend verallgemeinert
hat, erweist sich am Erfolg ihres hierdurch ermöglichten Zusammenwirkens. Das
heißt, die Wahrnehmungen in jedem Einzelnen müssen soweit verallgemeinert
werden, dass sie für die zum gemeinsamen Bewirken eines festgelegten Ziels erforderliche Information ausreichen. Zu mehr
kann die Verallgemeinerung nicht führen, vor allem nicht zur Identität der Wahrnehmungen,
aber auch nicht zur Wahrheit.
Diese erschöpft sich allein in dem Vermögen eines jeden Einzelnen, den Irrtum
zu erkennen, soweit sie nicht Teil des allgemeinen Lebens und damit positive Bedeutung im Sinne einer Erleuchtung zu erlangen vermag. Die Verschriftlichung ermöglicht nun aber, den Inhalt einer
jeweils individuellen Abstraktion mittels der Symbole aus der Transistenz des
jeweils werdenden
Lebens herauszulösen und auf der Ebene der Information zu vergegenständlichen.
Von dort kann die Information von dem Einzelnen selbst wieder bei Bedarf erinnert
werden, auch in anderem Zusammenhang, oder auch von anderen benutzt und als
Gegenstand weiterer Verallgemeinerungen dienen. Damit entfaltet die Abstraktion
eine selbständige Bedeutung, was ihr nur durch die Verschriftlichung möglich
wurde. Nun konnten ganze Systeme im Wege der Abstraktion geflochten werden, die
als Information Grundlage von entsprechend weitreichenden und komplexen
virtuellen Gebilden werden konnte. Die Verschriftlichung wurde selber
verallgemeinert und es bildete sich die wissenschaftliche Methode heraus, die
Philosophie begann zu blühen, Mathematik und Kosmologie entstanden. d)
Was dort indessen geschah, entfernte sich immer mehr von der bisherigen
Kultur und deren Einbindung in den natürlichen Lebenskreislauf und stand dem
männlichen Verständnis weitaus näher als dem weiblichen. Die Frauen definierten
sich infolge ihrer körperlichen Eingebundenheit mit der gesamten Natur und mit
deren Fruchtbarkeit, während die Männer ihre Stellung nur über funktionale,
also bereits durch Abstraktion verallgemeinerte Aufgaben, wie Nahrung für
andere zu besorgen oder für deren Sicherheit zu sorgen, fanden. Den Männern lag
es daher näher, etwas zu bewirken, indem vorgegebene Informationen umgesetzt
wurden, worauf sich ihre Macht gründete. Damit wirkten sich die durch die
Verschriftlichung einstellenden Änderungen primär auf männliche Bereiche aus,
erst sekundär über die Beiträge der
Männer auf die Frauen. Dies aber reichte, um der mit der Verschriftlichung beginnenden
Entwicklung eine zunehmend mehr von männlichen Bedürfnissen bestimmte Richtung
zu geben. Auch die wissenschaftliche Erkenntnis wurde zu ihrer Domäne und diese
offenbarte ihnen nun recht bald den wirklichen Zusammenhang zwischen Geburt und
Zeugung, dass nämlich der Mann einseitig durch Begattung einer Frau diese zu
befruchten vermochte, ohne dass es auf die Einbindung deren Schoßes in den
ewigen Kreislauf des Lebens ankäme. Auch bedurfte es nicht der willentlichen
Mitwirkung der Frauen, man konnte einfach über ihren Schoß verfügen, sie auch
mit Gewalt nehmen, sich ihrer bedienen. Hiermit nahm die sich neu ausrichtende
Kultur ihre Fahrt zum Patriarchalismus
auf, der die jahrzehntausende matriarchale Kultur gänzlich entzauberte und in
einer beispiellosen Weise eine ganze
Geschlechtergruppe unterwarf. Die Frauen wurden zur männlichen Vermehrung
instrumentalisiert und verloren darüber nicht nur ihre Sonderstellung, sondern
auch alle über diesen Zweck hinausgehenden Befugnisse und Rechte, sie wurden
weggeschlossen, mussten sich verhüllen und eine strenge Moral wachte über die
wahre Urheberschaft des Mannes für seinen Nachwuchs. Denn diese war ständig
dadurch bedroht, dass die Frau einem anderen Mann ihren Schoß öffnen konnte.
Dies auszuschließen diente nahezu alle Moral. Die Männer aber lösten sich aus
der sexuellen Abhängigkeit von den Frauen, indem sie das sexuelle Erlebnis,
einst die Verbindung zu den Göttern schaffend, zur niederen Wollust abwerteten
und die Frauen, die hieran teilhatten, zu Prostituierten machten. Nach dem
kurzen phallokratischen
antiken Zwischenspiel der Päderastie, die wahrhafte sexuelle Liebe nur in
dieser homoerotischen Variante anerkannte, schritt die Verallgemeinerung dazu,
vom Leben schließlich alle Leiblichkeit zu
abstrahieren und alles in der Idee eines einzigen männlichen Gottes
münden zu lassen. Die Idee wurde im
Idealismus zu Realität, das Leben und die Bedürfnisse eines jeden einzelnen
Menschen zu bloßen Akzidenz, das Sein der Begriffe
wurde geschaffen. e) Dies führte zum Zivilisationsbruch. Alle
Zivilisation entstand durch gemeinsames Bewirken entsprechend der den hieran
Beteiligten vorliegenden Information. Die Abstraktion, die die Information
gewinnen ließ, kennt aber keine Wahrheit, sie ist nur daran zu messen, was das
zu ihrer Umsetzung Bewirkte jeweils konkret für die hiervon betroffenen
Einzelnen bedeutet. Durch die Verselbständigung der Abstraktion und dem eigenen
Sein, das den Begriffen idealistisch beigelegt wurde, wurde nunmehr das
Ergebnis der durch die fortschreitende Abstraktion gewonnenen Information allein
nur noch am Allgemeinen, das heißt an einem anderen Abstrakten und nicht mehr
an den konkreten Auswirkungen für die beteiligten Einzelnen gemessen, fern der
in jedem Einzelnen gründenden Wahrheit und korrigierbar nur durch
Zusammenbrüche der Systeme, bei denen die beteiligten Einzelnen stets unter die
Räder des sogenannten Fortschritts kamen. Natürlich gab es kein Allgemeines,
das wiederum ein anderes Allgemeines rechtfertigen könnte, Rechtfertigung fand
sich ausschließlich, wenn das Allgemeine über das Bewirkte wieder zum Einzelnen
kam. Tatsächlich führte diese den Zivilisationsbruch darstellende Verselbständigung der
Verallgemeinerung auch dazu, dass nunmehr beliebige Ziele außerhalb der
Kontrolle der beteiligten Einzelnen bestimmt werden konnten und diese
entstammten dann zumeist den Bedürfnissen derjenigen, die die Abstraktion der
Systeme und deren Verwendung beherrschten. Der Einzelne selbst wurde
schließlich darauf reduziert, was man seiner zumindest bedurfte, dass er die
ihm aufgegebene Information noch zuverlässig umsetzen konnte. Mithilfe des
Idealismus und der durch ihn eröffneten Beliebigkeit waren die Menschen auf
diese Weise stets leicht zu beherrschen. Im Idealismus war für ihre Leiber mit
Ausnahme des Existenzminimums, das in Wirklichkeit das erwähnte
Funktionsminimum war, kein Raum und deren Bedürfnisse waren auf allgemeine Lustbarkeiten
beschränkt, der individuellen Lust, vor allem
der sexuellen zu frönen, galt als Sünde. Hiermit hielt die patriarchale Kultur
ihre Herrschaft bis heute aufrecht. f) Selbst die Aufklärung, die an vielen Prämissen
dieser Kultur nagte, benötigte mehr als dreihundert Jahre, bis Frauen erste
Zweifel an ihre männliche Instrumentalisierung und Beschränkung auf die sie dominierenden
männlichen Bedürfnisse anmelden konnten. Noch heute schlägt ihnen die ganze
Gewalt der männlich verschriftlichten Kultur entgegen, wenn sie sich den
Ursachen ihrer systematischen Entrechtung zuwenden. Denn die Dokumente dieser Kultur
sind von den ersten großen Werken Homers, Hesiods und der Bibel an bis heute
nichts anderes als eine hemmungslose Verherrlichung männlichen Wirkens in dem
Bemühen, die Spuren der jahrzehntausende alten bei der Verschriftlichung liquidierten
matriarchalen Kultur zu verwischen. Hiervon muss man sich befreien und die
Bedeutung der Verschriftlichung als Träger der patriarchalen Kulturrevolution
in allen ihren Formen richtig einschätzen, um zu dem Punkt zurückzugehen, bevor
sie begann. Die Niederlage der matriarchalen Kultur mit ihrem Selbstverständnis
einer natürlichen Verbundenheit mit dem Leibeskreislauf und der Leiblichkeit
allen Lebens wurde zutiefst in das Wesen der aufgrund der Verschriftlichung
entstandenen neuen patriarchalen Kultur eingebrannt und deren fortschreitendes
Abstraktionsvermögen mit der in hierdurch selbst errichteten Systemen
gegründeten inzestuösen Wissenschaftlichkeit erlaubt nur solche Wege, die die
hiermit zu vereinbarenden Beweise vorwegnehmen. Daher ist es den Feministen bis
heute nicht gelungen, sich vom eigentlichen Kern patriarchaler Herrschaft zu
befreien. Allein, was wir erleben, ist, dass dem seinerzeitigen
Zivilisationsbruch nunmehr ein Kulturbruch folgt, weil die Kultur angesichts
der sich auflösenden patriarchalen Ordnung den Menschen für ihr Zusammenwirken
keine passenden Formen
mehr zur Verfügung stellen kann. Deshalb ist es unumgänglich zu diesem
Zeitpunkt zurückgehen, als infolge der Verschriftlichung die patriarchale
Kultur mit der Niederschlagung der alten Kultur und der Entrechtung der Frauen
begann. Diesen Weg beschreiten wir im Heiligtum
mit der Verallgemeinerung
der göttlichen Lust und
Liebe, wenn wir an den Mythen und der durch sie vermittelten Lebensform der
Leiblichkeit allen Lebens wieder anknüpfen, um den Weg, den die patriarchale
Kultur einschlug von der Warte göttlicher Leiblichkeit aus noch einmal zu
verfolgen.
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